Seit einiger Zeit zerfällt das kleine Haus Nr. 23 am Lendkai langsam aber stetig. Bereits in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wurde ein kupferfarbener Neubau an Stelle eines anderen, ebenso alten Hauses errichtet. Das ist wohl auch die Zukunft des alten Flachdachhauses, das nicht nur wegen seines Zustandes, sondern ebenfalls wegen seiner Größe und der Dachform aus der Hausreihe am Lendkai hervorsticht. Während die Zukunft des Hauses eher düster aussieht, ist die Vergangenheit durchaus spannend. Im Stadtarchiv Graz finden sich nämlich zur Hausnummer 23 einige Bauakten, die bis 1938 einsehbar sind.
Tabak-Trafikanten-Verband Steiermark
In der Aktenmappe ist ein Umgestaltungsplan von 1932 des Architekten Josef Spiske (Mayfredigasse Nr. 5) beigelegt. Mit dem Umbau selbst – so geht es aus den Akten hervor – wurde der Stadtbaumeister Franz Toper aus der Naglergasse Nr. 66 beauftragt. Beim Baupolizeiamt der Stadt Graz war bei der Bekanntgabe des Vorhabens, neben der zwei bereits erwähnten Personen, auch Franz Plentner, Hans Petermann und Edmund Fink (Vertreter des gesuchstellenden Verbandes) sowie die Eigentümer der zwei Nachbarliegenschaften anwesend.
Angesucht wurde am 30. März 1932 die Bewilligung zur Umgestaltung des Hauses. Explizit wurde die Errichtung einer straßenseitigen Tür (zuvor ein Fenster), die Versetzung einer Trennwand im Erdgeschoss und im 1. Stock, die Errichtung einer neuen Stiegenanlage sowie der Bau einer Toilette im Erdgeschoss und im 1. Stock beantragt. Angefragt wurde ebenfalls die Konstruktion eines Flachdaches – zuvor wohl ein Pultdach –, wodurch eine Mauer gehoben werden musste.
Gegen die Veränderungen wurden aus bau-, feuer- und sanitätspolitischen Standpunkt weitgehend keine Einwände erhoben. Einige Bedingungen wurden vom Bauamt gestellt, die im Zuge der Bauarbeiten erfüllt worden sind. Im Juni wurden die Adaptierungsmaßnahmen vollendet, worüber das Stadtbauamt durch den Architekten informiert wurde. Die Leserinnen und Leser des Grazer Tagblatt vom 12. Juni 1932 konnten von dem erfolgreichen Umbau aus der Zeitung erfahren. Die Eröffnung des Hauses fand nämlich im Zuge der 25-Jahre-Jubiläumsfeier Tabak-Trafikanten-Verbandes Steiermark statt.
Grazer Tagblatt, 12. Juni 1932:
25 Jahre Landes-Trafikantenverband. Die Jubiläumsfeiern in Graz.
Graz, 11. Juni. Der Landesverband der Tabaktrafikanten Steiermarks begeht in diesen Tagen das Jubiläum des 25jährigen Bestandes. Samstag Nachmittag wurden die Feierlichkeiten mit der Eröffnung und Besichtigung des neu erworbenen Verbandsheimes am Lendkai durch Landesobmann Franz Plentner eingeleitet. Der Um- und Aufbau wurde vom Architekten Josef Spiske geplant und ausgeführt. Das Verbandsheim enthält die Kanzleien des Verbandes und die Verkaufsräume.
Präsident Hauptmann Wilhelm Duller (Wien) überbrachte die Grüße des Reichsverbandes und beglückwünschte die Landesleitung zu den erzielten schönen Erfolgen.
Anschließend fand im Hotel „Goldenes Roß“ eine Festveranstaltung statt, die durch eine Kapelle aus Mitgliedern des städtischen Opernorchesters ihr musikalisches Gepräge erhielt. Vizepräsident Hermann Czimeg begrüßte besonders Bürgermeister Muchitsch, den Vertreter der Finanzdirektion Hofrat Dr. Cavallar, Oberkommissär Herk, Präsidenten Duller, Obmänner und Vorstandsmitglieder anderer Landesorganisationen und viele andere. Zum Jubiläum waren zahlreiche Telegramme und Glückwunschschreiben eingelangt. Das gedeihliche und wirtschaftlich bedeutsame Wirken des Verbandes in den 25 Jahren wurde in ehrenden Ansprachen anerkannt. Im Rahmen der Veranstaltung wurde dem Obmann Franz Plentner für seine 25jährige unermüdliche Tätigkeit warmer Dank gezollt. Bürgermeister Muchitsch kündigte ihm die Verleihung des Bürgerrechtes der Stadt Graz in einer der nächsten Gemeinderatssitzungen an.
Ein Rückblick in das Jahr 1882
Im Stadtarchiv Graz finden sich für das Jahr 1882 ebenfalls Bauakten zum Haus am Lendkai. Es ist eine Frau Maria Wiesinger, die um eine eigene Hausnummer und die Eintragung in das Grundbuch ansucht. Das Haus hat sie zuvor von Franz Hödl gekauft. Franz Hödl hat wiederum „die ehemals Maninger‘ sche Realität Einlage 115, beziehungsweise den Rest derselben, welcher nach Verwendung mehrerer Grudtheile zum Lendquai noch übrig geblieben war“ von der Stadtgemeinde Graz erworben. Das darauf stehende Haus hat er in Folge so umgebaut, dass daraus zwei Gebäude (Haus Nr. 23 und Nr. 25, heute ein kupfernbrauner Neubau) entstanden sind. Das südliche von beiden (Haus Nr. 23) hat Franz Hödl Maria Wiesinger verkauft.
Bei der Angelegenheit wird Maria Wiesinger von dem „Rechtsfreund“ Dr. Tunner unterstützt. Nach einigen Schwierigkeiten wird das Ansuchen bewilligt. Das Haus von Maria Wiesinger wird in das Grundbuch eingetragen und es erhält eine Hausnummer. Bemängelt wird jedoch, dass es eigentlich kein selbständiges Haus sei, da es keinen eigenen Brunnen habe und auch keine Retirade (Toilette) vorweisen könne. Mit der Eintragung in das Grundbuch wird „ihr u[nd] ihren Besitznachfolgern und den Bewohnern dieser Realität“ der Zugang zum Brunnen und der Toilette im Hof zugesichert.
Aus den Akten im Stadtarchiv geht noch einiges mehr hervor, das vielleicht in einem anderen Blogartikel beschrieben wird. An dieser Stelle sollte nur auf das Haus Lendkai 23 verwiesen werden, das entweder bald in sich zusammenfällt oder abgerissen wird. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es renoviert wird. Der Gehsteig davor wurde jedenfalls ganz aktuell (Mai 2024) erneuert.