Die Grazer Innenstadt ist nicht aufregend. Zumindest nicht fürs Einkaufen. Wenige große Ketten prägen das Bild. Einige Ramschläden kommen dazu. Qualitätsvielfalt ist nicht vorhanden. Die Schaufenster sind eher trostlos. Geschäftsportale sind austauschbar. Es gibt natürlich Ausnahmen sowie Überbleibsel aus einer anderen Zeit.
Zu den historischen Relikten zählen Läden, die das begradigte Straßenbild stören. Erkennbar sind sie unter anderem an Holzverbauungen, die das Innenleben nach außen tragen. Dazu kommen da und dort Verzierungen, die im Laufe der Zeit vielfach entfernt worden sind. Bei einigen Ladenfassaden sind ebenfalls Glas- und Spiegelreflexionen zu erkennen, die Leon Nacht in seinem Artikel „Moderne Schaufensteranlagen“ (1903) beschreibt. Eher nur vorstellbar sind die Ladennamen, die einst in vornehmer Weise betont worden sind, damit sie „sich dem Kauflustigen wenn möglich unauslöschlich“* einprägen, so Leon Nacht.
Die Ladenfronten mit ihren Schaufenstern wurden so zu Visitenkarten. Das Ziel war, dem Publikum und so möglichen Käuferinnen und Käufern näher zu kommen. Um das zu erreichen, rückte man die „Schaufenster in die Bauflucht, ja sogar erkerartig vor dieselbe, beginnt auch bereits mit gebogenen Glasflächen, Bronzemontierungen, Spiegeln zu arbeiten. Von hier wars nur noch ein Schritt zu der Idee, dem Schaufenster gewissermaßen ein eigenes, gesondertes Dasein zu geben, es für das Auge völlig vom Organismus des Hauses loszulösen. Das geschah, indem man ihm eine Umrahmung gab, die nach Farbe, Material, architektonischer Gestaltung gänzlich vom übrigen abweicht“**, so Regierungsbaumeister Cüdow in seinem Artikel „Moderne Ladenfronten“ (1909).
Das Schaufenster wurde so zu einer Bühne für die Waren, die das Auge der Passantinnen und Passanten erfreute. Dafür wurde die Ware vom Fachpersonal arrangiert. So entstand eine neue Berufsgruppe der Schauwerbegestalterinnen. Um 1903 wurde diese als „Auslage-Arrangeure“*** bezeichnet. Ihre Aufgabe war, den Spaziergänger*innen Abwechslung und Unterhaltung zu bieten. Das Schaufenster als eine kleine Bühne für bildnerische Phantasien.
Und heute? In Graz sind noch einige der Schaufensterverbauungen vorhanden. Vielfach wurden sie begradigt durch die Entfernung von Verzierungen und übermalt. Die Namen neuer Ladeninhaber*innen stehen auf ihnen. Oft sind es billige Klebefolien oder Plastikschriften, die von hoher Fluktuation zeugen. Von einem künstlerischen Warenarrangement kann kaum mehr gesprochen werden. Sie sind somit Relikte einer Zeit, in der Einkaufen das Flanieren durch Straßen bedeutet hat. Heute surfen wir im Internet, wobei meistens bei einem oder zwei großen Online-Anbietern eineingekauft wird. Eine wichtige Alternative sind Shoppingmalls mit regulierten Temperaturen und geschützt vor Regen, die eigene Parkplätze haben – übrigens, Shoppingmalls sind die Erfindung eines Österreichers (LINK). Wohl zwei Gründe dafür, dass unsere Innenstädte überall die gleichen Läden und die gleichen Waren haben.
Zum Nachlesen:
*Leo Nacht (1904): Moderne Schaufensteranlagen. In: Berliner Architekturwelt 6, S.336–340.
** Cüdow (1909): Moderne Ladenfront. In: Architekten- und Baumeister-Zeitung, Wien, S. 417.
Eine Auswahl an Ladenfronten: